Schwere Wellen

Eine Insel im Meer.
Sich aufmachen. Dann losmachen.
Ablegen.
Möwengeschrei.
Da: 
Alte neue Stürme im Heimathafen.

Eine Insel im Meer.
Ankommen. Immer wieder ankommen. 
Den Anker werfen.
Rettung.
Hier: 
Leise laute Wellen im Mittsommerlicht. 

Eine Insel im Meer.
Atmen. Endlich wieder atmen. 
Festmachen.
Ruhe.
Dort: 
Stilles, weises Glück im Muschelsand. 

Eine Insel im Meer.
Sich aufmachen. Dann losmachen.
Ablegen.
Möwengeschrei.
Da: 
Alte neue Sehnsucht im Heimathafen.

Funkel

Ich habe keine Zeit gehabt.
Keine Zeit für mich, für dich, für niemanden,
erst recht nicht für Gott.
Und auch keine für die Welt.

Aber ich habe in vielen Millisekunden
ganz kurz aus meiner Schale gelinst
und das Leben von oben gesehen,
aus der guten Perspektive.

Habe mich in meinem Leben gesehen,
wie ich

die alte Katze streichle, obwohl ich schon wieder losmuss
an der roten Ampel nach oben schaue
ein paar Sekunden länger im Auto sitzen bleibe
beim Backen mehr Teig nasche, als die Kleinen
Wolle und Stoffe entrückt bestaune
im T-Shirt Holz hole und dabei an meine Mama denke
am Fenster Regentropfen zähle, statt weiterzuputzen
die Kinder noch einmal zudecken gehe, damit ich sie noch einmal riechen und küssen kann
spät abends Kaffee trinke, nur, weil er so gut schmeckt
in der Badewanne Schnulzen lese
bis in den Morgen wach liege um die Ruhe zu feiern

kurz: wie ich doch – für Sekunden nur – innehalte,
deine Kirche in mir aufsuche, mich dort bekreuzige
und dir Danke sage
für jeden Funkel in meinem Tag.

kurz vor schwarz

Aus

vernebeltem Halbwissen
vergilbt-verblassten Freunden
vertrockneter Hoffnung
und grauem Weltenfrost

zerrissenen Buchstaben
heiseren Tiraden
tiefer Schockstarre
und tödlichen Herzviren

formt sich ein Herbst, der dunkler ist.

Denn mit den Zugvögeln flog uns auch die Menschlichkeit davon.

Und gegen die Kälte, die dieser Winter bringen wird,
hilft keine Wolle, kein Bett.

Europa kühlt aus, wie Blumen.

Hoffentich sind wir ausdauernd.
Und hoffentlich gewinnt das Licht.

Juni

Störche klappern ihr Liebeslied,
während das Glück leise durch die Straßen geht,
sich ab und an auf Bänke setzt,
sich an morsche Pforten lehnt,
in matte Scheiben hineinlinst,
vor alter Frauen Betten steht,
Babys beim Spielen und Krabbeln zusieht,
und bei allem ein bisschen lächelt.

Kurz darauf löscht es der Juniregen,
sodass nur Staub von ihm bleibt,
nichts, als dunkler Staub.
In Stille kam es und stille ging’s,
das Glück aus meinem Dorf.

 


Bildquelle

Windflüchter

Wie ein Windflüchter steh ich nach vorn gebeugt
unter der stetigen Last deiner Worte.
Mein Stamm, meine Wurzeln lassen mich nicht fliehen.
Meine Gedanken – ein Haus ohne Pforte.

Doch einem Leuchtturm gleich erleuchte ich hell
meine eigene, dunkle Not:
Hab ich doch mein Versprechen gegeben, mein Leben!
– Keine Bö nimmt mir die Butter vom Brot.

Und obwohl das mit dem Krümmen schon lange so geht,
auch an wind- und salzfreien Tagen,
ist es doch meist eine alte Laune der Natur
und nur manchmal ein inneres Klagen.

Der Trost: Windflüchter sind nicht tot zu kriegen,
sie beugen sich allen Gezeiten.
Ab und an muss man sich eben ein bisschen verbiegen,
will man das Leben bestreiten.

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Bildquelle: hier

Lichtertöne

Der letzte Frost ist kalt wie je.
Der gräm’ge Winterabendgeist,
dem Lenz den Weg zum Friedhof weist,
frisst Morgentau aus Schnee.

Die letzte Nacht ist still wie je.
Der finst’ren Dunkeleinsamkeit,
der niemand eine Träne weint,
verwelkt das Seelenweh.

Der erste Morgen lacht wie nie.
Ein Rausch aus milden Tönen
komponiert mit purem Schönen
die Hoffnungssinfonie.

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Ganz unten

in der mülltüte
sitzt zwischen
brotresten
todesanzeigen
milchtüten
facebook-daumen
vollgeschnaubten taschentüchern
unnützen informationen
leeren plastikhüllen
käsekrümeln
müdigkeit
benutzten kaffeefiltern
und
ungenutzten möglichkeiten
mein mittlerweile schmutziges
Lyrisches Ich
und kämpft gegen den
erstickungstod.
zeit, den müll zu trennen in:
altstoffe (weg!)
reststoffe (weg!)
und
grünen punkt (weg?).
punkt.