„Wir schaffen das“

Wir schaffen das.

 

Ich drehe diesen Satz hin und her, schmeiß ihn gegen die Wand, er kommt zurück. Wie ein Bumerang oder ein Gummiball. Wir schaffen das.

Er riecht ironiegetränkt. Dabei müsste er das gar nicht sein.

Wir – die Deutschen. Ein seit 25 Jahren vereintes Volk, dessen Bevölkerung unterschiedlicher nicht sein könnte. Und doch werden wir zusammengefasst, vereinheitlicht, angesprochen, all das in diesem kleinen „Wir”. Das gleiche „Wir”, das wir krakeelten, als ein Deutscher Papst wurde. Das gleiche „Wir”, das wir uns aus den Lungen schrien, als die schwarzweißen 11 den Weltmeistertitel holten.

Wir schaffen das. Was genau und wie, ja, das sind die großen Fragen, aus denen sich Skepsis, Bitterkeit und zum Teil Enttäuschung ergeben. Und dennoch ist es ein Slogan, der so viel Positives in sich trägt.

Nazideutschland ging ein in die Geschichte als ein Land, dessen Politik und Bevölkerung aktiv und passiv zum Tod von Millionen von Menschen beigetragen hat – und das aus recht egoistischen Vorsätzen: Die eigene Rasse voranstellend, Raum für neues Leben der eigenen Bevölkerung schaffend, anderes Leben so schnell und effektiv wie möglich auslöschend – Devisen, mit deren Grundlagen und Ausführungskonzepten wir uns immer noch schwertun, schließlich ist dieses Kapitel das schwärzeste der deutschen Geschichte.

Jetzt ist es genau andersherum: Die eigene Rasse hintenanstellend, Raum für neues Leben einer anderen Bevölkerung schaffend, anderes Leben so schnell und effektiv wie möglich rettend – Devisen, die löblicher und humaner kaum sein könnten. Es könnte das hellste Kapitel der deutschen – ja der europäischen Geschichte werden.

Aber es scheint, als würde nicht nur Osteuropa hasserfüllte Kritik gegenüber diesem Motto äußern, sogar die deutsche Bevölkerung findet sich nicht mit dieser Einstellung zurecht. Ist die Gradwende vom Nazi zum Flüchtlingsretter in so kurzer Zeit nicht durchführbar? Was, wenn das einzige Ziel dieser Ansage das Kompensieren einer dunklen und schmachvollen Vergangenheit ist?

Dieses Jahr wünsche ich mir zu Weihnachten, dass man das Wort „naiv” in „optimistisch” ändert. Dass man die Angst vor den Veränderungen in eine Hoffnung auf Wertegewinn eintauscht. Dass man lieber – auch wenn das unheimliche Opfer fordert – offen, als skeptisch sein möchte.

Der Weg ist keine Einbahnstraße, auch die Neuen müssen ihn gehen, entgegenkommen, tolerant sein, lernen. Genau wie wir. Und ob der Weg zur Sackgasse wird, in der es kein Umkehren, kein Laufen, nur Gedränge und Panik gibt, das liegt auch an uns. Ich glaube, wir schaffen das. Denn „Wir” ist das schönste Wort, dass ich seit dem Mauerfall gehört habe. Und geschafft haben wir schon ganz andere Dinge.

 

 

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