Die letzte Glut

Zu zweit allein, zusammen einsam –
so leben sie wie Zinnsoldaten
angestellt im Dienst der Zeitlosigkeit.
In ihren Gedankenspielen
kreuzen Ideen sich nicht mehr und Wege.

Im Nebel dieser Tage
ist ein jeder leere Hülle
und nach außen hin wie Stein.

Wenn sie sich doch nur drehen könnten,
in diesen Stunden ohne Licht,
sie würde ihr Ohr an seine Eisenbrust legen
und nach seinem furchtbar leisen Herzschlag lauschen
und dann seinen Panzer küssen.

Ihr glühender Kuss würde ein kleines Loch
in seine Jahrzehnte alte Stumpfheit schneiden,
durch das ihr Herz das seine rasch
aufwecken und beatmen könnte.

Mit letzter Kraft und letzter Glut
hofft sie es zu schaffen.
Denn ohne ihn wird ihr immer kälter,
und sie will nicht – jetzt noch nicht –
in sich lebendig erfrieren.

 

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„Wir schaffen das“

Wir schaffen das.

 

Ich drehe diesen Satz hin und her, schmeiß ihn gegen die Wand, er kommt zurück. Wie ein Bumerang oder ein Gummiball. Wir schaffen das.

Er riecht ironiegetränkt. Dabei müsste er das gar nicht sein.

Wir – die Deutschen. Ein seit 25 Jahren vereintes Volk, dessen Bevölkerung unterschiedlicher nicht sein könnte. Und doch werden wir zusammengefasst, vereinheitlicht, angesprochen, all das in diesem kleinen „Wir”. Das gleiche „Wir”, das wir krakeelten, als ein Deutscher Papst wurde. Das gleiche „Wir”, das wir uns aus den Lungen schrien, als die schwarzweißen 11 den Weltmeistertitel holten.

Wir schaffen das. Was genau und wie, ja, das sind die großen Fragen, aus denen sich Skepsis, Bitterkeit und zum Teil Enttäuschung ergeben. Und dennoch ist es ein Slogan, der so viel Positives in sich trägt.

Nazideutschland ging ein in die Geschichte als ein Land, dessen Politik und Bevölkerung aktiv und passiv zum Tod von Millionen von Menschen beigetragen hat – und das aus recht egoistischen Vorsätzen: Die eigene Rasse voranstellend, Raum für neues Leben der eigenen Bevölkerung schaffend, anderes Leben so schnell und effektiv wie möglich auslöschend – Devisen, mit deren Grundlagen und Ausführungskonzepten wir uns immer noch schwertun, schließlich ist dieses Kapitel das schwärzeste der deutschen Geschichte.

Jetzt ist es genau andersherum: Die eigene Rasse hintenanstellend, Raum für neues Leben einer anderen Bevölkerung schaffend, anderes Leben so schnell und effektiv wie möglich rettend – Devisen, die löblicher und humaner kaum sein könnten. Es könnte das hellste Kapitel der deutschen – ja der europäischen Geschichte werden.

Aber es scheint, als würde nicht nur Osteuropa hasserfüllte Kritik gegenüber diesem Motto äußern, sogar die deutsche Bevölkerung findet sich nicht mit dieser Einstellung zurecht. Ist die Gradwende vom Nazi zum Flüchtlingsretter in so kurzer Zeit nicht durchführbar? Was, wenn das einzige Ziel dieser Ansage das Kompensieren einer dunklen und schmachvollen Vergangenheit ist?

Dieses Jahr wünsche ich mir zu Weihnachten, dass man das Wort „naiv” in „optimistisch” ändert. Dass man die Angst vor den Veränderungen in eine Hoffnung auf Wertegewinn eintauscht. Dass man lieber – auch wenn das unheimliche Opfer fordert – offen, als skeptisch sein möchte.

Der Weg ist keine Einbahnstraße, auch die Neuen müssen ihn gehen, entgegenkommen, tolerant sein, lernen. Genau wie wir. Und ob der Weg zur Sackgasse wird, in der es kein Umkehren, kein Laufen, nur Gedränge und Panik gibt, das liegt auch an uns. Ich glaube, wir schaffen das. Denn „Wir” ist das schönste Wort, dass ich seit dem Mauerfall gehört habe. Und geschafft haben wir schon ganz andere Dinge.

 

 

Spät nachts (Mascha Kaléko)

(aus gegebenem Anlass)

Jetzt ruhn auch schon die letzten Großstadthäuser
Im Tanzpalast ist die Musik verstummt
Bis auf den Boy, der einen Schlager summt.
Und hinter Schenkentüren wird es leiser

Es schläft der Lärm der Autos und Maschinen,
Und blasse Kinder träumen still vom Glück.
Ein Ehepaar kehrt stumm vom Fest zurück,
Die dürren Schatten zittern auf Gardinen.

Ein Omnibus durchrattert tote Straßen.
Auf kalter Parkbank schnarcht ein Vagabund.
Durch dunkle Tore irrt ein fremder Hund
Und weint um Menschen, die ihn blind vergaßen.

In schwarzen Fetzen hängt die Nacht zerrissen,
Und wer ein Bett hat, ging schon längst zur Ruh.
Jetzt fallen selbst dem Mond die Augen zu …
Nur Kranke stöhnen wach in ihren Kissen.

Es ist so still, als könnte nichts geschehen.
Jetzt schweigt des Tages Lied vom Kampf ums Brot.
– Nur irgendwo geht einer in den Tod.
Und morgen wird es in der Zeitung stehen …

Jetzt, da es Abend ist

Jetzt, da die Sonne schläft,
lösen tausende Sterne
die Kinder vom Spielen ab
und ich sinke ein
in ein stilles, sanftes Glück.

Jetzt, da wir nur im Halbdunkel sitzen,
löst dein seliges Lächeln
das Knistern des Ofens ab
und ich sinke ein
in mein Kissen aus Abend.

Jetzt, da sich die Nacht ausstreckt,
löst dein schläfriger Körper
den meinen beim Denken ab
und wir sinken ein
in unsere Einzweisamkeit.

Mondsterben

In dunkelblauer Feentracht
bist du mir nachts erschienen,
in Dunst gehüllt
mit Silberkranz
sah ich dich vor mir knien.

Schweigend nahmst du mich am Arm,
schon schwebt‘ ich über Bäume,
Hand in Hand
mit deinem Licht
im Zauberwald der Träume.

Im Geiste sah ich wie ein Stern
das Gold der Erde zündet,
und wie der Sonne
Diamant
vom neuen Tage kündet.

Da tropft der Morgen schon ins Gras,
der Tau löscht Feuermonde,
während ich
– traumverloren –
segne diese Stunde.

Kinderherz

Kinder entdecken die Welt in oft unnachvollziehbaren Schritten und auf verzweigten Wegen – nicht selten fragt man sich: „Woher weiß er/sie das?“ Mein Sohn (5) sammelte gestern auf einem Ausflug Maiskolben auf einem Feld und begann diese auf dem Weg zu verteilen. Die Maiskörner sollten kleine Bomben sein und wir (meine Tochter, 3, und ich) sollten uns bei jedem die Ohren zuhalten. Nachdem er das Spiel für einige Zeit gespielt hatte, hielt er inne und sagte ganz ernst:

Wenn irgendwo Bomben geworfen werden, verwelkt die Welt.

Wahrer könnte eine Aussage gar nicht sein. In dem Moment, in dem wir beginnen, uns zu bekriegen, Waffen zu entwickeln und uns zum Ziel setzen, Menschen zu töten – ja, in diesem Moment welken wir und mit uns die ganze Welt. Wie gut, dass ich die Welt meiner Kinder und ihre Herzen (noch) vor der Grausamkeit und Habgier Anderer schützen kann… Und wie gut, dass sie mein trauriges Herz zu trösten vermögen.

Ode an einen Sommer

Kurz vor Mitternacht

ist plötzlich der Sommer zu Ende –

kein Wind kündigt sein Sterben an

und doch wird er unter

abertausend nassen Kristallen begraben,

die mir das letzte Salz von der Stirn waschen

während ich die Arme ausbreite

und meinen krummen Rücken

und mein staubiges Gesicht

gen Himmel richte

um einen letzten Hauch

von ihm zu atmen

bevor er vergeht.

Jetzt ist es an uns

ein Licht zu entzünden

und ein letztes Lied zu spielen

ihm zu Ehren, diesem Sommer,

den in wenigen Augenblicken

auf heißen Asphalt gespült

zusammen mit meinen Tränen

aus Freude am Leben

die Erde einatmet.

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Kopfrauschen

Keine Ahnung, warum das Schreiben momentan nicht klappt, aber in meinem Kopf ist nur Rauschen.

Mal ist es so laut, dass ich am liebsten tausend Zeilen voll schreiben wöllte, doch ich denke bei jeder – die sagt nichts. Die reicht nicht. Das Wort ist nicht genug.

Und andermal ist es so leise, dass ich gar nichts höre, als wäre mein Kopf mit Weiß- und Grautönen benebelt.

Es ist die Unmenge an Wörtern und Sätzen, die ich Tag für Tag „konsumiere“, abspeichere, analysiere und die meinen Kopf leer und mein Herz überschwer machen.

Dieses Rauschen nervt. Ich will wieder klar sehen und klar denken können. Will nicht mehr manipuliert, umgestimmt und kategorisiert werden. Hoffentlich hört es bald auf…

Apfelbaum

Streich mir mit deinem Lied durch die Haare,
küss mich mit deinem Wort,
umarme mich mit diesem alten Haus
und lass mich nie mehr von hier fort.

Schenk mir ein Kind deiner Liebe,
oder zwei oder drei oder vier,
und wenn wir alt alle Stürme durchlebt,
setz dich auf diese Bank zu mir.

Dann bleiben wir unterm Apfelbaum sitzen
mit schütterem, weißen Haar,
durch das unsere Lieder noch streichen:
in Strophen, die das Leben gebar.

Briefe an Heute

Manchmal fühle ich mich
wie ein zerrissener Brief
mit aufgeweichter und
zerlaufener Tinte.

Wie dieser zerfetzte Brief
trage ich Sätze in mir,
die kraft- und klanglos
im Nichts verwehen.

Sätze, die ich in mancher
einsamen, zu stillen Nacht
zusammenfügte, schmeckte
und doch wieder zerriss.

Doch jede Nacht beugt die Knie
im Angesicht des Tages,
so beuge ich mich ebenfalls
vor dem, der Briefe schickte.

Und wenn Papier zu Staub zerrinnt,
dann werde ich Sein Wort
und sage dir: Hab keine Angst,
ich nehm dich bei mir auf.



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Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf,
und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf,
der mich gesandt hat. (Mt. 10.40)