Ostergedanke

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: Bin ich ein Falke,
ein Sturm
oder ein großer Gesang.

Rainer Maria Rilke

Frohe Ostern, ihr Blumen alle.

Kathamané

Vorfrühling

Heute sende ich eine kleine Einstimmung auf die wohl freundlichste Jahreszeit, die bereits im Anmarsch ist. In Medina scheint die Sonne, das Thermometer zeigt stolze 21 Grad an, meine kleinen Sterne tragen heute keine Anoraks. Sollte es tatsächlich schon so weit sein? Ist der Frühling schon so nah?
Die Bienen wagen sich jedenfalls mutig hervor, überall brummt und summt es, die Armen, noch müssen sie hungern. Die Blüten schlafen tief in kahlen Ästen und werden wohl erst allmählich durch die kecken Sonnenstrahlen geweckt.
Auch die Menschen regen und strecken sich, überall putzt und lacht es. Es ist doch jedesmal eine fantastische Erfahrung, wenn der Winter in die Knie geht vor dem Leben, vor dem Wunder. Jedes Jahr erleben wir es und fühlen uns doch wie kleine Kinder am Weihnachtsabend. Es ist wohl so eingerichtet vom lieben Gott, dass wir im Frühling das Leben in unseren Adern fließen spüren, dass wir neu geboren werden, dass wir der Sonne entgegenblicken. Dass wir den Winter in uns gekehrt, still schweigend und wartend vorüberziehen lassen. Und dass wir uns schon am ersten echten Frühlingstag nicht mehr vorstellen können, wie es all die grauen Tage lang gewesen ist… Was wären wir schließlich ohne all das Gewimmel und Gesumm, ohne Licht und grünende Wiesen? Unsere Seelen würden eingehen, unsere Münder würden verstummen und unsere Körper in ihren Bewegungen erstarren. Lasst ihn uns also feiern, den Lebensretter, den Seelendoktor, den Bunten, Duftenden, der da naht!

Vorfrühling

Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,

greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.


– Rainer Maria Rilke –