Ein Haus darin zu wohnen und glücklich zu sein

Meine Eltern wollen sich ein Haus kaufen in dem ungarischen Dorf, in dem ich lebe. Ein kleines Sommerhaus soll es sein, dass es ihnen ermöglicht, mehr Zeit mit den Enkeln zu verbringen und sich doch auch unabhängiger und freier zu fühlen. Nach vielen Jahren sind sie es müde, in wohl bequemen, aber doch fremdbleibenden Unterkünften und Ferienhäusern zu übernachten.

Die letzte Woche haben wir uns viele Häuser angeschaut. Da gibt es die alten, die mit ihrem Staub von einer Vergangenheit erzählen, der man unbedingt nachspüren will. Diese Vergangenheit trifft einen, sobald man die quietschende, schwere Holztür öffnet und im Dunkel nach Lichtfetzen sucht. Wenn sich die Augen an die graue Ruhe gewöhnt haben, erkennt man Dinge, die längst vergessen sind: Da hängt eine alte Strickjacke über dem Kochherd in der Küchenecke und dunkle Balken ziehen sich durch die Stubendecken. Da hängen Fotos von schwarz-weißen und rundgesichtigen kleinen Kindern und von einem ernst dreinblickenden, frischvermählten Ehepaar. Da stehen Schlappen (Patschker) in der Veranda, die mit ihren Blumenmusterfliesen Charme und Farbe verbreitet. Da riecht es in alten Ställen nach Mais und Stroh und Lehm und man schließt die Augen und stellt sich vor, wie es stampft darin und leise schmatzt und warm darin ist von all den Tieren. In einem kleinen Kämmerchen stand ein Gitterbett aus längst vergangenen Zeiten, dessen Anblick mich tief berührte und ich mir vorstellte, wer da wohl gelegen hatte und nun schon ein halbes Jahrhundert alt sein musste.

Und da gibt es die anderen Häuser, die, die gut sind oder schlecht, die klein sind oder groß, die aber keine Seele zu haben scheinen oder aber eine, die einem selbst zu fremd ist. Kann denn ein Haus eine Seele haben? Und wenn ja: Was macht seine Seele aus, worin liegt die Seele der eigenen vier Wände?

Zögernd nur entscheiden sich meine Eltern und nur langsam kriecht Freude in unser aller Herz: Sollte es tatsächlich so werden? Sollte es tatsächlich ein Haus geben, hier, nicht weit von meinem eigenen, das ich besuchen und wo ich ihre Gegenwart spüren werde, egal wann ich die Schwelle betrete? Das ich pflegen und hegen will, damit es frisch und schön auf die wartet, die da kommen, uns zu besuchen und ihre Zeit mit uns zu verbringen?

Warum sie zögern? Zuerst war uns das selbst nicht klar. Das graue Haus ist ein gutes Haus mit einer freundlichen, leisen Seele, die sich nur langsam hervorwagt. Vor meinem inneren Auge sehe ich den Lavendel meiner Mutter im Garten blühen. Ich sehe meine Eltern, wie sie sich endlich etwas ausruhen können vom Leben. Und ich sehe meine Kinder dort Ball spielend und lachend im kleinen Garten herumtollen. Woher also dieses Zögern, diese Unsicherheit? Es liegt nicht an dem Geld, das es kosten wird, dieses Haus zu einem Zuhause zu machen. Alles kostet Geld, das ist man gewohnt. Was uns innehalten lässt, ist der Respekt vor der Seele des Hauses. Diese Seele schlummert in seinem Giebel, sie weht durch die Zimmer und schlüpft durch Fensterritzen. Sie wartet hinter Tapeten und Ziegeln. Sie umfängt einen am Tor und kommt mit, Schritt auf Schritt. Sie lauert auf den, der da kommt, in der Hoffnung, erkannt – und geliebt – zu werden.

Ein Hauskauf ist kein Autokauf. Man kauft nicht nur ein Gebäude aus Mauern und Ziegeln. In jedem wohnt ein Stück Vergangenheit derer, die es bauten oder bewohnten. Alle hinterließen ihre Spuren. Und wenn diese nicht mehr sichtbar sind, vereinen sie sich zu dem, was nur manche spüren können: zur weisen Seele eines alten Hauses.

Ich wünsche mir, dass meine Eltern die Seele des grauen Hauses spüren und sich mit ihr verbinden. Dass sie die Geschichte dort weiterschreiben durch ihre Möbel, ihre Farben und ihr Lachen. Dass es Essen und Feste geben wird in dem kleinen Garten hinter der Kirche. Und dass sie den Frieden und das stille Glück finden, dass einem ein solches Haus in meinem ungarischen Dorf gewähren kann.