An alle Vertriebenen dieser Welt: „Überfahrt“ von Mascha Kaléko

Wir haben keinen Freund auf dieser Welt.
Nur Gott. Den haben sie mit uns vertrieben.
Von all den Vielen ist nur er geblieben.
Sonst keiner, der in Treue zu uns hält.

Kein Herz, das dort am Ufer um uns weint;
Nur Wind und Meer, die leise uns beklagen.
Laß uns dies alles still zu zweien tragen,
Daß keine Träne freue unseren Feind.

Sei du im Dunkeln nah. Mir wird so bang.
Ich habe Vaterland und Heim verlassen.
Es wartet so viel Weh auf fremden Gassen.
Gib du mir deine Hand. Der Weg ist lang.

Und wenn das Schiff auf fremder See zerschellt,
wir sind einander mit dem Blut verschrieben.
Wir haben keinen Freund auf dieser Welt.
Es bleibt das eine nur: uns sehr zu lieben.

Mascha Kaléko (1945)

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Foto „Einsamkeit “ von Lukas_Ka

Happy Birthday, kleiner Gedankengarten!

Am 26. Februar 2014 habe ich das erste Mal einen Post auf diesem Blog veröffentlicht. Das ist nun auf den Tag genau ein Jahr her und aus diesem Grund möchte ich ein paar Zeilen dazu verfassen.

In dieser Zeit hatte der Gedankengarten insgesamt 3866 Aufrufe von 1838 Besuchern, die sich unter den insgesamt 69 Posts umgesehen haben. Nachdem es ursprünglich um Literatur im Allgemeinen gehen sollte, ist dann dennoch eine kleine Gedichteplattform daraus geworden.

Zwei meiner Gedichte wurden bereits in Anthologien veröffentlicht, die Artikel über das deutsche Theater in Ungarn, die DBU, werden regelmäßig in der Zeitung der Ungarndeutschen, der Neuen Zeitung abgedruckt.

Leider hatte ich in der letzten Zeit weder Kraft noch Muse, um kreativ zu sein und Gedanken schön verpacken zu können, doch ich hoffe, dass sich das schon bald ändert. Auch im nächsten Jahr sollen eigene Gedichte und Artikel, beziehungsweise Memoiren der Kaléko an erster Stelle stehen.

Doch es geht hier nicht nur um mich und meine Schreibereien, sondern vor allem: um euch. Danke an alle, die ab und an vorbeigucken, die mir Kommentare hinterlassen oder mir andersweitig zeigen, dass ihnen die Blumen im Gedankengarten gefallen. Mir bedeutet das unheimlich viel und obwohl das Internet eine uneinsehbare riesige anonyme Welt ist, ist dieser Blog für mich wie ein kleines privates Atelier – ein kleiner Garten eben.

Danke an alle Besucher und Leser und Happy Birthday, Gedankengarten! 🙂

Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen,
tauche ich hinab,
nach Perlen zu fischen.

Mascha Kaleko

Eure Kathamané

Ein Kompositionsversuch

Vor einer Weile kam mir beim Klimpern auf dem Klavier folgende Melodie in den Sinn, die mich an ein Gedicht von Mascha Kaléko erinnerte. Diese Aufnahme ist noch ganz unprofessionell, ein Rohling sozusagen, doch schon bald folgt eine Studioaufnahme mit Geige, Klavier und zweistimmigem Gesang.

Die noch rohe Aufnahme zur Vertonung des Gedichts „Herbstmelancholie“ von Mascha Kaléko findet ihr

hier.

Liebe Grüße an alle Leser!

Kathamané

Mascha Kaléko: Herbst-Melancholie

(Ich möchte euch eines meiner Lieblingsherbstgedichte vorstellen. Meiner Meinung nach ist es einfach perfekt, anders kann ich es nicht ausdrücken. Die bedrückende Stimmung wird von der Eleganz und der Schlüssigkeit der Zeilen weggespült – zumindest geht es mir so. Lasst euch von den Worten der Kaléko die Seele verzaubern…)

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Mir welkt kein Garten.
Ich habe keinen.
Kein Haus, durch das Oktoberwinde weinen.
Mir tut das schwärzeste Gewölk nicht weh,
Weil ich so selten nur den Himmel seh.

Ich ziel nicht mehr auf goldne Himmelssterne.
Mich tröstet eine kleine Gaslaterne.
Mich täuscht kein Glück, enttäuscht kein Warten.
Mich schmerzt kein Herbst,
Mir welkt kein Garten…

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Mascha Kaléko: Sozusagen grundlos vergnügt

Mit diesem Gedicht wünsche ich allen einen schönen Sommersonntag! 🙂

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
– Dass Amseln flöten und dass Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehen!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freue mich, dass ich … Dass ich mich freu.

Lyrical Streetart – Eine Hommage an Mascha Kaléko

Gestern bin ich auf eine wunderbare Seite gestoßen. Sie gehört Sarah M. Hensmann, einer jungen Deutschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Bielefeld poetisch zu schmücken. Denn sie sagt:

Man kann eine Stadt lesen!  Hauswand, Stufe, Pflaster sind lesbare Metaphern. Jede Hauswand ist wie eine Haut, die das Innere vom Außen trennt, eine Stufe kann ein neuer Lebensabschnitt sein, eine Mauer kann Trennung bedeuten und  jedes Bröckeln, jeder Riss kann Verletzlichkeit, Vergänglichkeit und Alter symbolisieren.

Mascha Kalékos Worte kann man heute in allen möglichen Ecken der Stadt entdecken. Wie es dazu kam und was dahinter steht: Lest selbst!

Mascha Kaléko in Bielefeld

Danke an Sarah M. Hensmann für diese wunderbare Aktion! Und erneut „Danke!“ an Mascha, für jedes Wort, jeden Gedanken, den sie uns, der Nachwelt, hinterlassen hat…

Mit tiefer Anerkennung und großem Respekt,

Eure Katha

Gute Nacht – Gedicht

Der Mann im MondMascha Kaléko

Der Mann im Mond hängt bunte Träume,
Die seine Mondfrau spinnt aus Licht,
Allnächtlich in die Abendbäume,
Mit einem Lächeln im Gesicht.

Da gibt es gelbe, rote, grüne
und Träume ganz in Himmelblau.
Mit Gold duchwirkte, zarte, kühne,
Für Bub und Mädel, Mann und Frau.

Auch Träume, die auf Reisen führen
In Fernen, abenteuerlich.
– Da hängen sie an Silberschnüren!
Und einer davon ist für dich.

Mascha Kaléko und ich

Es ist dieses Gefühl, wenn man etwas liest und spürt, dass es einen in der Seele berührt. Oder sogar Teil der eigenen Seele ist. Ein Text, ein Wort, ein Lied, das von nun an Teil des eigenen Lebens ist. Dessen Existenz man zwar nicht kannte, es aber nun nicht mehr loslassen kann.

Vor 7 Jahren hielt ich das erste Mal ein Gedicht von Mascha Kaléko in der Hand. Ich erhielt es von meiner Mutter. Es war in dem Adventskalender „Der andere Advent“ genau an meinem Geburtstag abgedruckt. Der Titel „An mein Kind“ hat mich schon deshalb berührt, weil in mir ein kleines Leben zu wachsen begonnen hatte und ich das erste Mal nicht nur als Kind, sondern auch als Mutter fühlte.

An mein Kind

Dir will ich meines Liebsten Augen geben

und seiner Seele flammenreiches Glühn.

Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn,

Verschlossne Türen aus den Angeln heben.

Wirst ausziehen, das gelobte Glück zu schmieden.

Dein Weg sei frei. Denn aller Weisheit Schluss

Bleibt doch zuletzt, dass man hienieden

All‘ seine Fehler selbst begehen muss.

Ich kann vor keinem Abgrund dich bewahren,

Hoch in die Wolken hängte Gott den Kranz.

Nur eines nimm von dem, was ich erfahren:

Wer du auch seist, nur eines: Sei es ganz!

Du bist, vergiss es nicht, von jenem Baume,

Der ewig zweigte und nie Wurzeln schlug.

Der Freiheit Fackel leuchtet uns im Traume,

Bewahr den Tropfen Öl im alten Krug!

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Eine junge ungarische Dichterin, Übersetzerin und Performerin besitzt wie ich den großen Traum, Mascha Kaléko der ungarischen Literaturwelt vorzustellen. Da Kalékos Werke nie ins Ungarische übersetzt worden sind, wird das mein / unser erstes Lyrikprojekt sein – und so schwer und bedeutungsvoll, dass ich Angst habe, es überhaupt zu beginnen. Aber wer, wenn nicht Kaléko, ist es wert, von einer Nation gelesen und verstanden zu werden, die ihrer Mentalität so nahe ist…